Samstag, 24. April 2010

02 Forte di Fenestrelle - Turin


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Dafür, dass Franz noch nie die Alpen, oder Berge allgemein, gesehen hat (die Eifel zählt ja nicht), gibt er es sich nach dem Achterbahntag gestern nochmal so richtig. Forte di Fenestrelle heißt nämlich das heutige Ziel, auch die „europäische Chinesische Mauer“ genannt. Ein kilometerlanger Festungswall in den Alpen, knapp 70km westlich von Turin, wo wir übrigens unser Nachtquartier aufschlagen. Doch dazu später mehr.

Zuerst einmal müssen wir Bergamo verlassen und das ist gar nicht so einfach. Am Altstadt-Gymnasium ist trotz Wochenende Hochbetrieb und BMFY steht im Vespennest. BM-FY, so heißt übrigens unser geliebter Saab, der von Automobile Duchateau italotauglich gemacht wurde (Danke, Chef!). Also in die Hände gespuckt und ein halbes Dutzend Zweiräder verschoben. Gutes Workout am Morgen, denn die Dinger sind viieeeel schwerer als angenommen.

Nach der italienischen Klischeeschikane geht es dafür umso besser voran. Die vierspurige Mautobahn ist herrlich leer, so dass wir noch ein Auge auf die Reisfelder des Piemont rechts und links werfen können.

Ab Turin ändert sich das Landschaftsbild gewaltig, die Alpen schießen plötzlich aus dem Boden, laut Karte bis zu 3000 Meter hoch. Petrus hat anscheinend nicht nur eine Nespresso-Maschine (what else?), sondern ist auch online und liest unseren Blog, denn das Wetter hat sich wie gestern bestellt wunderbar gedreht, es ist entgegen der Vorhersage sonnig und trocken. Das hat auch einen Grund: Die Wolken stecken im Alpenstau – und in den fahren wir zum Schluss doch noch rein.

Mittlerweile sieht es aus wie in gestern in der Schweiz: Kleine Bergdörfchen entlang der Durchgangsstraße säumen unseren Weg. Ein Glück sind die Straßen großzügig bemessen und so kommen wir kurz vor zwei am Forte di Fenestrelle an.

Beim Betreten der Festungsanlage wird schnell klar, hier läuft vor 15.°° Uhr gar nichts. Die gesammelte Belegschaft befindet sich im kleinen Bistro-Restaurant in einem der ehemaligen Gefängnistrakten und lässt sich von den restlichen Kollegen bedienen. Gezwungenermaßen nehmen wir hier jetzt unser Frühstück ein, bestehend aus einem Teller Antipasti Misto und selbstgemachten Gnochi in Tomatensauce. Glücklicherweise saugt man die italienische Speisekarte bei uns ja mit der Muttermilch auf, so dass die ansonsten schwierige Verständigung wenigstens den Tellerinhalt betreffend fluppt.

Gegen drei beginnt die obligatorische Führung (sonst keine Besichtigung...), die für drei Stunden angesetzt ist und uns in eine Gruppe von tapferen Italienern und nölenden Franzosen verschlägt. Letztere sind des Italienischen ebenso wenig mächtig wie wir und können daher nur mit vielen warmen Gedanken die erste Stunde von einem Fuß auf den anderen springen, während der drahtige, sonnengegerbte Guide munter wie das italienische Radio ohne Punkt und Komma auf uns einschwadroniert. Eigentlich haben wir das Forte nämlich ausgesucht, weil wir auf der Anlage die Kilometer die Berge hochwandern und die Aussicht genießen wollten, stattdessen findet die Audienz gut eine Stunde im Erdgeschoss statt und dann geht die Stimmung mit uns im wahrsten Sinne des Wortes auch noch in den Keller. Der ist nicht nur kalt und gruselig, sondern zappenduster.

Bei der zweiten Hälfte der Führung geht es dafür endlich aufwärts. Prompt beschweren sich die Franzosen weiter, warum wir den „hässlichen und nicht den schönen Aufstieg“ nehmen. Unter dem „schönen“ versteht man die 3996 Stufen, in einem cirka zwei Meter breitem und über 500 Meter langem Gang, der nur über wenige Schießscharten beleuchtet und von oben ständig betropft wird. Der „schäbige“ ist der grüne gleichmäßig ansteigende Wiesenweg an der frischen Luft mit atemberaubenden Bergpanorama, an dem früher die Kanonen hochgeschoben wurden.



Während des Anstiegs werden immer geduldiger die Ausführungen des Guides angenommen, denn dabei kann man gut verschnaufen. Unzählige kaputte Steinhaufen und Pulverhäuser später, dürfen wir dann doch in den „schönen“ Tunnelgang wechseln. Der Guide sprintet munter mit der einzigen Taschenlampe vorneweg, wir ächzen hinterher, es ist ziemlich finster, glitschig und kalt. Die Franzosen sind gerade nicht zu hören. Alle sind mit Atmen beschäftigt, denn einen Plan B gibt es für den langsam in luftiger Höhe entschwindenden Bergmann scheinbar nicht. Lächelnd weist er die Nachzügler das erste Mal in Französisch (!) darauf hin, dass man so ja einen straffen Po erhalte, dreht sich um und präsentiert den selbigen, denn schon geht’s weitere 200 Höhenmeter rauf, jetzt aber wieder im Hellen, worüber sich keiner mehr beschwert.

Gämsenköttel pflastern unseren Weg, ein Mann, seine Horde und ein 2000er. Der Ausblick und das Bauwerk sind wirklich beeindruckend, weshalb wir hier einmal unsere unbarmherzig nicht vorsortierten Fotos sprechen lassen wollen. Übrigens galt das Bauwerk, ursprünglich von den Franzosen zur Abschreckung der Savoyer gedacht (und jetzt gerade von den Savoyern zur Abschreckung der Franzosen benutzt), als Fehlkonstruktion, weil es gar nicht besonders verteidigungsgünstig liegt. Aber weil schon mal so viel Kohle drinsteckte, machten selbst die absolutistischen Herrscher von damals keinen Rückzieher mehr und ließen nur noch ein wenig nachbessern. Seine Hauptnutzung erfuhr es als Gefängnis und im 2. Weltkrieg als Unterschlupf der Partisanen. Bis 1990 lag es dann vorwiegend Brach, bis man sich des steingesäumten Bergkammes als touristische Attraktion besann und so langsam aus den Pötten zu kommen scheint. So richtig vermarktet ist die größte Festung Europas trotzdem noch nicht, was man am fehlenden Shop unschwer erkennen kann. Vielleicht liegt das aber auch nur an den Führungen. Es gibt sogar noch eine, die wirklich bis zur höchsten Spitze des Forte führt (also knapp 2000 Stufen höher), die beginnt allerdings schon um 9 Uhr in der Früh...

Wir sind glücklich im „zweiten Stock“ des Gebäudes angekommen und das reicht uns völlig. Wer jetzt auf einen schnellen und wortfreien Abstieg gehofft hat (alle), war aber schief gewickelt. Erstens findet Seniore Guide nicht nur einen anderen Parallel-Treppenweg zurück, nein, es gibt auch noch viele schöne Dinge hierüber zu erzählen und Vordränglern macht er den Garaus mit „Vorsicht Steinschlag, kein Durchgang“-Rufen und – sehr effektiv - einer bis zuletzt verschlossen bleibenden Eisentür, die er erst öffnet, als einer der Gruppe die auf italienisch gestellte Frage wann das Forte erbaut wurde, beantworten kann. Die Adresse unseres Blogs wollte er auch noch haben, aber schließlich befinden wir ihn doch nicht für hinreichend vertrauenswürdig – nachher ist plötzlich alles auf Italienisch! Radio ersparen wir uns auf dem Rückweg, immerhin spricht Tom Tom Deutsch und führt uns in gut einer Stunde nach Turin.

Warum es uns in die Hauptstadt des Piemont schlägt? Nicht unerheblich war Franz’ Neugier auf Juventus und Livefußball. Auf das Original-Turiner Grabtuch sind wir zum Glück später noch durch den Stern-Titel gestoßen, denn dieses wird nur alle zehn Jahre für etwa sechs Wochen öffentlich ausgestellt. Tickets haben wir online gesichert – sogar noch vor dem Papst, der kommt erst am 2. Mai. Dazu mehr am Montagmorgen.

Turin, das war doch was – genau: FIAT (Fabrica Italiana Autobile Torino) stammt von hier und nachdem wir bei Expedia unser Vier-Sterne-Schnäppchen geschlagen haben, finden wir heraus, dass aus dem ehemaligen FIAT-Werk unser Hotel geworden ist. Die efrühere Teststrecke auf dem Dach (kein Scherz) ist nun für Joggingläufer geöffnet. Wegen seiner ursprünglichen Nutzung sind die Zimmer schön groß, hoch und haben eine gewaltige Fensterfront. Die Neugestaltung des Gebäudes sagt uns zu, denn im Komplex sind unter anderem noch ein großes Einkaufszentrum und Kino untergebracht, wo wir bis 22 Uhr bummeln und eine Pizza Ola (mit getrocknetem Fleisch, genannt Breasola), Birnen-Walnuß-Salat und Viola-Tiramisu-Eis vertilgen, ehe wir einen Abstecher ins Feinkostparadies gegenüber machen. Wer schlemmen will wie Gott in Italien, der geht ins „Eataly“, wo wir morgen nicht nur gucken, sondern wohlmöglich auch reinbeißen wollen




Zu den Fotos des Tages

02 Forte di Fenestrelle